Was, wenn (körperliche) Nähe mir Angst macht?
Wusstest du, dass ungefähr 10% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Angststörungen aufweisen?
Ein deutlich kleinerer Anteil (1,7%) wird allerdings im Schulalter mindestens einmal aufgrund von Angststörungen im Allgemeinen ärztlich behandelt. Das zeigt, dass nur ein Teil der Kinder und Jugendlichen, die an Ängsten leiden, deswegen in ärztlicher und/oder psychotherapeutischer Behandlung sind.
Unliebsame Begleiter im Jugendalter: Ängste
Auch wenn es sich für dich vielleicht gerade so anfühlt, als ob du mit deiner Angst alleine bist, ist Angst zu haben etwas ganz Normales. Zum Aufwachsen gehören verschiedene Ängste dazu: Ängste, die meistens eine Weile da sind oder eine Zeit lang stärker werden, dann aber auch wieder schwächer werden oder ganz verschwinden. Man spricht deshalb von entwicklungstypischen Ängsten, die sich in einem bestimmten Alter bei vielen Kindern und Jugendlichen feststellen lassen.
Eine der häufig im Jugendalter auftretenden Ängste ist die Angst vor Nähe, insbesondere die Angst vor Berührung und/oder Intimität.
Was bedeutet es Angst vor Nähe zu haben?
Die Angst vor Nähe ist eine soziale Angst, das heißt, dass sie etwas mit sich selbst und mit anderen Personen, also dem Miteinander zwischen Menschen, zu tun hat. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass körperliche Berührung und Nähe nicht als etwas Schönes empfunden werden (können), sondern dass Nähe Gefühle von Unwohlsein bis hin zu Panik verursacht.
Diese Angst braucht nicht unbedingt einen konkreten Auslöser. Angst vor Nähe führt dazu, dass man nur schwer Vertrauen zu anderen Menschen entwickeln kann. Sich zu öffnen und sich auf jemanden einzulassen, werden zu einer großen Herausforderung, obwohl man sich eigentlich nach Nähe, Zuwendung und Liebe sehnt.
Schon allein durch die Vorstellung einer Situation von Nähe mit einer anderen Person (zum Beispiel jemanden zu berühren oder zu küssen) kann Angst auslösen.
Wie zeigt sich Angst vor Nähe?
Wie genau sich Angst vor Nähe zeigt und wie sichtbar die Angst für andere ist, kann sich von Person zu Person unterscheiden.
- Durch Reaktionen des eigenen Körpers, zum Beispiel zittern, schwitzen oder rot werden,
- durch das eigene Verhalten, zum Beispiel das Vermeiden bestimmter Situationen oder der plötzlichen Flucht,
- durch bestimmte Gedanken, die sich zum Beispiel scheinbar darum kreisen, was Schlimmes passieren könnte, wenn man jemanden nah an sich heranlässt.
Warum hat man Angst vor einer schönen Sache wie Nähe?
Warum jemand eine Angst vor Nähe entwickelt, kann nicht auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden. Vielmehr zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass eine solche Angst sehr unterschiedliche und zusammenhängende Gründe haben kann – also ein „Ursachenbündel“.
Mögliche Ursachen:
- Negative Bindungserfahrungen als Kleinkind (wie beispielsweise fehlende körperliche und/oder emotionale Nähe, fehlender Schutz),
- traumatische Erlebnisse (wie zum Beispiel Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen),
- ein fehlendes Wohlbefinden im eigenen Körper,
- ein geringes Selbstwertgefühl oder
- die Herausforderung eigene Gefühle auszudrücken,
- psychische Vorerkrankungen der eigenen Eltern (gilt im Übrigen nicht nur für Ängste).
Kurz- und langfristig kann eine Angst vor Nähe zu großen Beeinträchtigungen der eigenen sozialen Beziehungen führen.
Wie jede Angst, kann auch die Angst vor Nähe dich in deinem Alltag sehr einschränken und enorm belasten.
Tipps zum Umgang mit der Angst vor Nähe
Wenn du Angst vor Berührung und Nähe hast, kann es hilfreich sein, wenn du:
- Deine Angst ernst nimmst und dich selbst genau beobachtest: Was genau macht dir Angst? Was tut dir an Nähe gut und was nicht? Vor was möchte dich deine Angst warnen?
- Deinen eigenen Weg zum Umgang mit Nähe und Körperlichkeit suchst und dich nicht mit anderen vergleichst: Was sind deine eigenen Bedürfnisse im Kontakt mit deinem Freund/deiner Freundin? Was sind deine Grenzen? Wo liegen deine Unsicherheiten? Welche Form von Sicherheit brauchst du, um dich wohlzufühlen und dich zu öffnen?
- Mit anderen und im Besonderen mit deiner Freundin/deinem Freund sprichst: Welche Gefühle hast du und welche Gefühle habt ihr? Was möchtet und erwartet ihr jeweils voneinander an (körperlicher Nähe), an Berührung(en), …? Wo liegt ihr auf einer Wellenlänge? Wo unterscheiden sich eure Bedürfnisse?
Erste kleine Schritte zur Auseinandersetzung mit der Angst
Die Angst vor (körperlicher) Nähe gehört zum Aufwachsen dazu. Du kannst überlegen dir Hilfe zu suchen, wenn du die Angst dauerhaft spürst und sie sehr viel Raum in deinem Leben einnimmt. Vielleicht fühlst du dich gerade so, als ob die Angst außer Kontrolle gerät.
Dabei hast du einen wichtigen Schritt schon getan: Du denkst über das nach, was gerade in dir los ist.
Die Bedeutung von und das Bedürfnis nach Körperlichkeit und körperlicher Nähe und Nähe im Allgemeinen unterscheiden sich von Person zu Person. Etwas im Kontakt mit jemandem oder in der Berührung von jemandem als nicht angenehm zu empfinden und damit verbundenes Unwohlsein zu äußern, ist nicht gleichzusetzen mit der Ablehnung der anderen Person. (Körperliche) Intimität und Nähe zuzulassen und zu finden, sind etwas Prozesshaftes.
Die Lösung könnte sein, gemeinsam nach Wegen des Zusammenseins und von Körperlichkeit zu suchen, die gut tun und Spaß machen.
Hier kann man zueinander finden, wenn man eigene Wünsche, Grenzen und Unsicherheiten offen anspricht und die Wünsche, Grenzen und Unsicherheiten des/der anderen wahr- und ernstnimmt. Ziel sollte stets eine gemeinsame Form von Nähe sein, mit der es allen Beteiligten gut geht und mit der sich alle wohl fühlen.
Auf dem Weg zum eigenen Umgang mit der Angst gibt es verschiedene Möglichkeiten professioneller Unterstützung. Beim Abwägen, ob psychotherapeutische Hilfe ein hilfreicher Schritt sein könnte, können zum Beispiel Kinder- und Jugendtherapeut*innen oder Beratungsstellen helfen.
Wenn du dich unsicher fühlst oder mit aufkommenden Gefühlen nicht zurechtkommst, sind wir für dich da. Schreib uns und wir bei JugendNotmail begleiten dich gerne ein Stück deines Weges.