Wie sorge ich gut für andere?
Viele von uns haben bereits einen Erste-Hilfe-Kurs in ihrem Leben absolviert.
Wenn jemand eine Verletzung am Körper erleidet, wissen wir, was zu tun ist, sei es auch nur den Notruf zu wählen. Doch das Leisten von Erster Hilfe bei psychologischen Problemen fällt den meisten deutlich schwerer oder es herrscht große Unsicherheit. Ziel von Erster Hilfe für die Seele ist es, aufeinander zu achten, Warnsignale zu erkennen, früh in den Kontakt zu treten und langfristig füreinander da zu sein.
Einer von fünf Jugendlichen hatte irgendwann im Leben eine schwere psychische Störung. Knapp 50% der Jugendlichen im Alter von 13-18 Jahren haben eine psychische Störung.
Kann ich auch Erste Hilfe für die Seele leisten?
Erste Hilfe für die Seele kann in unterschiedlichen Situationen und im anderen Ausmaß erforderlich sein. Ganz dringend wird die Erste Hilfe bei akuten psychischen Krisen. Das wäre unmittelbar nach einem dramatischen oder traumatischen Vorfall (Verlust eines nahestehenden Menschen, Erleben einer Extremsituation, z. B. einem Raubüberfall). Auch andere einschneidende Ereignisse wie Trennung, Arbeitsverlust oder Umzug können zur Belastung werden.
Auch mittel- und längerfristig kann Bedarf entstehen, z.B. bei Zurückweisung, Einsamkeit, Schuldgefühlen, Grübeln, Scheitern, Misserfolg oder geringem Selbstwertgefühl. Oft sollten wir handeln, wenn wir merken, dass ein Mensch, den wir gut kennen und im Alltag erleben, sich psychisch verändert (z. B. eine psychische Störung entwickelt, eine Angst– und Panikattacke hat, unter Depression leidet, Suizidgedanken entwickelt) und Hilfe benötigt.
Für die Menschen in unserer Umgebung kann es lebensnotwendig sein, dass andere über psychische Krankheiten informiert sind und rechtzeitig helfen können. Deswegen solltest du in deinem Alltag aufmerksam sein. Ist dir eine Veränderung an einer nahestehenden Person aufgefallen?
Wie erkenne ich, ob jemand Hilfe braucht?
Ob eine Person in deiner Umgebung sich in einer seelischen Krise befindet, kannst du an folgenden Anzeichen erkennen:
- Starke Gefühlsschwankungen
- Abbrechen oder Rückzug von sozialen Kontakten, von Aktivitäten
- Sichtbare Verzweiflung, Äußerung von Gefühlen der Hoffnungs- oder Sinnlosigkeit
- Ankündigung von selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten
- Aggressive Reaktion, ständige Gereiztheit
- Unerreichbarkeit im Gespräch, Desinteresse, Teilnahmslosigkeit, Hilflosigkeit
- Ungewöhnliches, „seltsames“ Verhalten
- Reduktion oder Abbruch der Nahrungsaufnahme
- Schlafstörung
- Zustand einer körperlichen Lähmung oder Hyperaktivität
- Substanzmissbrauch (Alkohol, Drogen etc.)
- Herzrasen, Atemnot, Zittern
- Körperbeschwerden, Kopfschmerzen, Schwindel
Wie kann ich bei psychologischen Krisen richtig reagieren?
Beim Leisten von Erster Hilfe für die Seele geht es um persönliche Hilfe: entweder bevor professionelle Hilfe organisiert wird oder als begleitende Unterstützung, bis die Krise überwunden oder zumindest wieder im Griff ist.
Du hast einige Anzeichen bemerkt oder dein Bauchgefühl sagt dir, dass die Person deine Hilfe braucht?
Dann versuche das Thema sensibel, aber direkt anzusprechen. Formuliere deine Beobachtungen in „Ich-Botschaften“ und benenne Fakten, die dir aufgefallen sind, z. B.: „Ich hatte den Eindruck, dass du in den letzten Wochen etwas traurig warst, und ich habe mich gewundert, dass du nicht auf meine Nachrichten reagiert hast.“. Wenn die Person gerade keine Hilfe will oder braucht, ist es in Ordnung. Frag‘ vielleicht später nochmal. Zeige der Person, dass du sie und ihren Zustand akzeptierst und in mehreren Situationen für sie da bist.
Folgende Do´s and Dont´s könnten dir helfen ins Gespräch zu kommen und es zu führen:
- Suche den Kontakt, geh auf die Person zu. Die Frage „Wie geht’s es dir?“ kann ein unkomplizierter Anfang sein. Gut geeignet sind auch offene W-Fragen (z. B. Wie, Was… Was braucht du jetzt?).
- Höre zu, spreche mit der Person oder sei einfach nur still für sie da.
- Lasst euch Zeit. Sei geduldig, verständnis- und respektvoll.
- Akzeptiere die Situation der Person im Hier und Jetzt.
- Weinen und andere Emotionen sind völlig in Ordnung.
- Sei authentisch und höre auf dein Bauchgefühl. Es ist OK, wenn du etwas nicht weißt oder unsicher bist. Sei ein Team mit der Person, die dich braucht.
- Notiere dir Notfallnummern (z. B. Telefonseelsorge, psychologischer Notdienst, Rettungsdienst, Polizei, Hausarzt, Online- oder Vorort-Beratungsstellen, ) und zeige der Person mögliche Optionen.
- Achte aber auch auf dein persönliches Wohlbefinden und deine Grenzen, denn nur wenn es dir gut geht, kannst du anderen helfen.
- Wenn erforderlich, hole oder organisiere weitere Hilfe.
- Vermeide übertriebene gut gemeinte Ratschläge, Floskeln, Phrasen und belehre nicht (z.B. „Geh doch mal mehr an die frische Luft! Das wird dir helfen.“).
- Formuliere keine Vorwürfe und Wertungen (z.B. „Du verhältst dich wirklich egoistisch.“).
- Spiele die Themen und Gefühle nicht herunter und verallgemeinere nicht („Komm, ist doch alles halb so schlimm. Anderen geht es genauso.“).
- Mache keine leeren Versprechen („Du kannst wirklich immer bei mir übernachten.“).
- Sei nicht beleidigt, wenn deine Hilfe nicht angenommen wird.
Achte auf deine Mitmenschen
Nicht jede Krise bedarf einer professionellen Hilfe. Viele Krisensituationen können auch mit der Unterstützung von nahestehenden Menschen gemeistert werden. Unterstütze langfristig, bleibe im regelmäßigen Kontakt und unterstütze die Person im Alltag, indem du gemeinsame schöne Aktivitäten anbietest. Man kann zusammen einen Spaziergang machen, die Lieblingsmusik hören oder die Lieblingssportart ausüben.
Aufeinander zu achten, heißt mit offenen Augen durch den Alltag zu gehen, bei Menschen in deiner Umgebung Anzeichen von psychischen Belastungen wahrzunehmen und sich untereinander dabei zu unterstützen, gesund zu bleiben oder, wenn nötig, die richtige Hilfe zu finden.
Jede*r kann Ersthelfer*in für die Seele werden!